University of Tokyo

Masterarbeit im Ausland schreiben - empfehlenswert, oder nicht?

Erfahrungsbericht aus Japan.

Ich heiße Nadine, studiere Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart und habe meine Masterarbeit im Auslandssemester an der University of Tokyo geschrieben. Meine Masterarbeit in Japan zu schreiben war eine Notlösung, da ich eigentlich ein „normales“ Auslandssemester mit Kursen machen wollte. Dies hat jedoch aus zweierlei Gründen nicht funktioniert. Der erste Grund ist, dass es in meiner Fakultät kein normales Austauschprogramm mit der University of Tokyo gibt, nur mit anderen Universitäten in Japan. Der zweite Grund ist, dass durch Corona die japanische Grenze so lange geschlossen war, dass ich mit all meinen Kursen fertig war, als ich endlich ins Auslandssemester durfte. Ich habe mich aber trotzdem dafür entschieden nach Japan zu gehen und habe diesen Schritt nicht einen Tag bereut.

Da bereits früh feststand, dass ich meine Masterarbeit schreiben würde, wurde ich bereits ein Jahr im Voraus einem der dortigen Projekte zugeteilt. In Japan gibt es sogenannte „Labs“ (Laboratories), die von einem oder mehreren Professor*innen geleitet werden. Das ist natürlich kein richtiges Labor, sondern damit ist viel eher die Gruppe gemeint, die in meinem Fall an elektrischen Raumfahrtantrieben arbeitete. Mein Lab hatte ca. 50 Studierende, die aufgeteilt waren auf verschiedene Unterprojekte und einem dieser Projekte wurde ich zugeteilt. Dadurch hatte ich die Gelegenheit, bereits früher mit der Literaturrecherche zu beginnen.

Nur 6 Monate?

Als ich dann endlich in Japan war und dort an der Uni arbeiten konnte, fielen mir gleich einige Unterschiede zum deutschen System auf. Zum einen schreiben dort alle zwei Jahre lang an ihrer Masterarbeit (durchgängige Forschung), während wir nur eines von den vier Semestern für die Forschung nutzen. Meine Lab-Kollegen haben mich daher am Anfang ziemlich schief angeschaut, als ich sagte ich sei sechs Monate dort, um eine Masterarbeit zu schreiben.

Hausschuhe und später aufstehen

Eine weitere Angewohnheit der Japaner*innen, die mich am Anfang verwirrt hat war, dass für die Arbeit im Büro die Schuhe ausgezogen werden. Man kennt das ja vielleicht, dass man keine Tempel oder Schreine in Japan mit Schuhen betreten darf und auch in traditionellen Unterkünften bekommt man immer Hausschuhe, um herumzulaufen. Aber in einem Büro hatte ich das trotzdem nicht erwartet. Natürlich hatte jeder im Büro dann Hausschuhe. Die legte ich mir dann auch bald zu, da es ohne Hausschuhe im Büro oft recht kalt werden konnte.

Des Weiteren sind die Arbeitszeiten in Japan ein wenig verschoben zu unseren. Die Japanerinnen und Japaner sind frühestens um 10 Uhr an der Uni, bleiben dann aber auch bis 8 Uhr abends (vor Abgaben etc. natürlich auch länger oder über Nacht). Praktischerweise gibt es im Besprechungszimmer ein Schlafsofa, falls man die letzte Bahn verpasst. Überraschenderweise wurde das Sofa selten für Power-Naps benutzt. Durch Erzählungen und den Berichten der Medien in Deutschland, hatte ich erwartet, dass Japaner regelmäßige Power-Naps durchführen, doch das ist wohl eher eine Seltenheit.

All you can meet

Auf dem Unigelände gibt es auch einen Konbini (Convenience Store), in dem man zum Beispiel Essen kaufen kann. Ein Konbini hat in Japan üblicherweise 24/7 geöffnet. Da allerdings die Unitore nachts geschlossen sind, könnte man erwarten, dass auch der Konbini nachts geschlossen hat - das hat er aber nicht. Aber nicht nur im Konbini bekommt man zu jeder Tageszeit (und Nachtzeit) Essen, die Universitäts-Cafeteria hat von 11 Uhr morgens bis 21 Uhr abends geöffnet. Das heißt man bekommt dort auch ein günstiges und leckeres Abendessen.

Natürlich gibt es im Lab auch Meetings. In meinem Lab gab es jeden Freitag ein Pflichtmeeting, in dem Studierende ihren Fortschritt präsentieren durften. Natürlich konnte ich am Ende auch einen Vortrag in einem dieser Meetings halten. Neben diesen Fortschritts-Meetings gibt es noch Meetings mit dem Professor oder der Professorin zum Stand der Forschung alle zwei Wochen. Diese Meetings finde ich durchaus sinnvoll. Ungewohnt waren für mich am Anfang die sogenannten Motivationsmeetings: Dabei treffen sich alle Arbeitsgruppen und jemand hält einen Vortrag über ein Thema seiner Wahl. Das kann alles sein, von einem Vortrag zu ChatGPT zur Vorstellung der Heimatregion bis hin zu Weihnachtsmärkten oder Auroras. Besonders in meiner stressigen Phase fand ich es anstrengend einem Meeting beizuwohnen, dass anscheinend wenig Sinn hat und mir einfach nur wertvolle Zeit zum Schreiben meiner Arbeit raubte. Zumal die Vorträge oft nur in Japanisch gehalten wurden und mein Japanisch lange nicht gut genug war, um den Vortrag zu verstehen.

Eine Tradition hat mir allerdings sehr gut gefallen: Einmal im Monat gab es nach diesem Pflichtmeeting ein sogenanntes „Nomikai“. Das ist eine kleine Party mit meistens All-you-can-drink und All-you-can-eat, bei dem man mit seinen Kollegen und seinem Professor feiern kann. Meistens sind wir direkt im Anschluss noch ins Karaoke gegangen mit den Leuten die Lust hatten. Diese Abende zählen zu den schönsten Abenden meines Japan-Aufenthalts.

Alles in allem hatte ich eine sehr schöne Zeit in Japan mit einmaligen Erinnerungen, aber besonders der letzte Monat meiner Masterarbeit bestand nur noch aus Arbeit, ohne dass ich das Auslandssemester auch nur in Ansätzen genießen konnte. Ein Freund von mir hat das Ganze viel schlauer gemacht als ich und seine Masterarbeit in Deutschland einfach noch nicht angemeldet. Da er keine Experimente gemacht hat, konnte er zurück in Deutschland seine Arbeit einfach fortsetzen und dafür sein Auslandssemester genießen.

Trotzdem würde ich mich jederzeit wieder dafür entscheiden meine Masterarbeit im Auslandssemester zu machen, wenn es die einzige Möglichkeit für ein Auslandssemester ist. Die Erfahrungen und Freund*innen, die ich dort bekommen habe, sind unbezahlbar. Falls ihr allerdings die Möglichkeit habt, dort nur Kurse zu besuchen, dann würde ich noch eher dazu raten.

Nadine

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