Ehrenamt neben dem Studium: Warum es sich auszahlt

Wir sind die Generation Ego, wir kümmern uns nur um unser eigenes Wohlergehen. Zumindest wird das in den Medien immer wieder behauptet. Ich behaupte, dass das so nicht stimmt – zumindest nicht pauschal.
[Foto: privat]

Ich kenne viele Leute in meinem Alter, die sich irgendwo ehrenamtlich engagieren. Viele sind wie ich Studierende und nehmen in Kauf, dass sich ihr Studium dadurch verlängert. Warum sie das tun? Lasst mich das am Beispiel meines Engagements in der Studierendenvertretung erklären.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich damals am ersten Vorlesungstag im dritten Semester vorne im gut besetzten Hörsaal V47.01 stand. Die Nervosität stieg und ich hoffte inständig, dass sich meine Stimme weniger zittrig anhören würde, als sich meine Hände anfühlten. Ein Glück eröffnete einer meiner älteren Fachschafts-Kollegen den Vortrag zur Erstsemestereinführung. Ich muss zugeben, dass ich sehr bewunderte, mit welcher Gelassenheit er das tat – dass ich jemals so locker vor hunderten von Leuten sprechen würde, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Puh, war ich froh, als ich nach einer ausführlichen Erklärung des Stundenplans das Mikrofon wieder abgeben konnte.

Studierende beim Grillen.
Beim traditionellen Begrüßungsgrillen mit den neuen Erstsemestern.

Als ich im letzten Oktober die Erstsemester am Ende des Vortrags mit einem „So, wir sehen uns nachher beim Grillen. Falls ihr noch Fragen habt, kommt einfach bei uns vorbei!“ in den ersten Tag ihres Studentenlebens entlassen habe und sich der Hörsaal langsam leerte, war da ein ganz anderes Gefühl – ein Anflug von Wehmut. In den vergangenen fünf Jahren habe ich zu Beginn jedes Wintersemesters freiwillig und zunehmend gerne den Einführungsvortrag gehalten. Nie hätte ich im Dritten Semester gedacht, dass ich irgendwann kein Nervenbündel mehr vor einem solchen Vortrag sein würde und erst recht nicht, dass es mir so viel Spaß machen würde, dass ich am Ende meines letzten Vortrags dieser Art ein wenig traurig gestimmt wäre. Wenn ich in einigen Monaten mein Studium hinter mir habe und in den Beruf einsteige, muss ich mir zumindest um eines keine Sorgen machen: Präsentationen zu halten. Das habe ich gelernt – dank meines Engagements in der Studierendenvertretung.

Informationsheftchen für Erstsemster
Informationsheftchen für Erstsemster - erstellt und verteilt durch Mitglieder der Fachschaft.

Positive Nebenprodukte des Engagements: Softskills...

Auch in anderen Bereichen hat mich das Engagement auf mein späteres Berufsleben vorbereitet. Nehmen wir beispielsweise die Situation, einem Vorgesetzten in einer Diskussion Kontra geben zu müssen. Für viele Menschen erstmal eine Horrorvorstellung, auch wenn sie davon überzeugt sind, dass der eigene Standpunkt richtig und die Ansichten des Chefs falsch sind (und damit vermutlich Recht haben). Auch innerhalb der Studierendenvertretung steht man extrem oft vor diesem Problem. Nehmen wir als Beispiel das erste Mal, als ich als neues studentisches Mitglied im Senat in einem Gespräch mit dem Rektorat saß. Es ging um die Verteilung von Studiengebühren und irgendeine Argumentation des Rektors, warum ein Antrag für ein meiner Ansicht nach sinnvolles Projekt abgelehnt werden sollte, passte mir überhaupt nicht. „Entschuldigen Sie – das sehe ich anders“. Ich weiß noch, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. Als „kleine Studentin“ eine Respektsperson zu kritisieren kostete mich gewaltig Überwindung. Aber meine Argumente waren wohl gut genug, um den Rektor von der Genehmigung zu überzeugen. Viele ähnliche Situationen später weiß ich heute, dass konstruktive Kritik und offene Diskussionen in den meisten Fällen gewinnbringend für alle Beteiligten sind und ohne sie so manche gute Idee nie zustande gekommen wäre. Ich bin überzeugt davon, dass ich auch in diesem Punkt eine wertvolle Lektion für meine berufliche Zukunft gelernt habe.

Es gibt immer wieder Menschen in meinem Umfeld, die auf mein Engagement mit Unverständnis reagieren. Insbesondere in Bezug auf die Dauer meines Studiums habe ich mich öfter rechtfertigen müssen. Klar, ich habe mein Studium nicht in 10 Semestern geschafft – es werden am Ende 12 sein. Und ja, die eine oder andere Prüfung hätte vielleicht bessere Resultate gehabt, wenn ich mich voll aufs Lernen konzentriert hätte, statt nebenher die Info-Heftchen für die neuen Erstsemester zu überarbeiten. Aber seien wir mal ehrlich: solange die Noten nicht komplett entgleisen, ist das nicht so tragisch. Ob die Abschlussnote in meinem Zeugnis am Ende zwei, drei Zehntel schlechter ist oder nicht, wird bei der Jobsuche keinen gravierenden Unterschied machen. Und was die ohnehin unrealistisch angesetzte Regelstudienzeit angeht: Außer auf BaFÖG und einige Stipendien wirkt sich ihr Überschreiten nicht weiter aus. Ins Berufsleben komme ich auch so noch früh genug – und dann werde ich ganz sicher nie mehr so viel Zeit haben, mich irgendwo zu engagieren, wie es jetzt der Fall ist. Naja, als Rentnerin dann vielleicht wieder.

 
Bei der Organisation einer Demo lernt man viel.

... viele Softskills

Ich lasse mich inzwischen nicht mehr aus der Ruhe bringen – ich weiß, was mir die längere Studiendauer gebracht hat. Neben den oben genannten Softskills gibt es auch noch eine ganze Menge andere, die durch das Engagement in der Studierendenvertretung gefördert wurden: Teamfähigkeit – da kommt man in einer so großen Gruppe gar nicht drum herum. Führungsqualitäten – manchmal geht es nicht anders und man muss Leuten sagen, was zu tun ist (und manchmal hören sie dann sogar auf einen). Mentoringfähigkeiten – dreimal war ich studentische Mentorin für eine Gruppe Erstsemester. Verhandlungsgeschick – ich weiß nicht mehr, wie oft wir z.B. schon in der Studienkommission mit dem Studiendekan über Themen wie das Einbauen von Freischussregelungen in die Prüfungsordnung diskutiert haben. Organisationstalent – schon mal eine Party für 3.000 Gäste geplant oder bei der Organisation einer großen Demo mitgewirkt? Man lernt dabei unheimlich viel. Und diese Liste könnte man noch lange weiter führen.

Studentin mit Absolventenbuch.
Herausgabe des Absolventenbuchs.

Abgesehen davon habe ich auch andere Dinge gelernt, die mir vielleicht eines Tages nützen. Durch die Herausgabe des Absolventenbuchs für unseren Studiengang kenne ich mich nicht nur im Vehandeln mit Druckereien aus, sondern kann auch InDesign bedienen. Ich habe viel über das Thema IT-Infrastruktur gelernt, weil ich mich für die Netzwerkadministration in der Fachschaft und bei stuvus interessiert habe. Wie ich Texte in LaTeX setze, habe ich durch das Erstellen von Info-Heftchen oder Protokollen von Fachschaftssitzungen sehr früh im Studium gelernt, was mir viel Einarbeitungszeit beim Schreiben meiner Bachelorarbeit gespart hat. Die Vorstellung meines Studiengangs am Unitag oder bei Berufsmessen an Schulen hat mich gelehrt, wie ich Fragen beantworte und ein „Produkt“ (hier: Elektrotechnik!) positiv präsentiere. Und es wird mir zwar beruflich nicht viel nützen, aber für mich als leidenschaftliche Hobbyköchin war es eine spannende Sache, das Kochen für 30 oder auch mal deutlich mehr Personen zu lernen – das Beachten von Allergien, Unverträglichkeiten, Vegetariern und religiösen Essensvorschriften inklusive.

Engagement macht nicht immer nur Arbeit

Ein wichtiger Punkt: Natürlich bringt die Aktivität in der Fachschaft nicht immer nur Arbeit mit sich. Es finden sich eigentlich immer Leute, die Lust auf eine spontane Grillparty nach den Vorlesungen haben. Oder gerne bereit sind, beim Leeren der mitgebrachten Flasche Sekt nach erfolgreicher Abgabe der Bachelorarbeit zu helfen. Und auf dem jährlichen Fachschaftswochenende hat man abends nach getaner Arbeit definitiv genug Zeit, die ganzen anderen Chaoten auch mal etwas besser kennen zu lernen. Übrigens ein guter Zeitpunkt, als Außenstehender mal hineinzuschnuppern – die meisten Fachschaften nehmen Interessierte Neulinge gerne mit auf ihre Arbeitswochenenden. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht auch unglaublich viel Spaß während meiner Zeit in der Studierendenvertretung hatte. Ganz im Gegenteil: Meine Erlebnisse und die Menschen dort haben dazu beigetragen, dass ich meine Studienzeit in bester Erinnerung behalten werde. Nicht umsonst betrachte ich die Arbeit in der Fachschaft mehr als Hobby, nicht als Verpflichtung.

Studierende sitzen am Lagerfeuer.
Nicht nur Arbeit: gemütlicher Abend am Lagerfeuer auf dem Fachschafts-Wochenende.

Die Welt ein kleines Bisschen besser machen

Wie ich eingangs bereits erwähnt habe, kenne ich viele ehrenamtlich engagierte Menschen, darunter zahlreiche Studierende. Dabei sind auch viele, die wichtige Arbeiten außerhalb der Uni leisten. Nehmen wir nur mal die vielen ehrenamtlichen Sanitäter oder Freiwillige, die einmal die Woche in einem Altenheim den Bewohnern etwas vorlesen. Ebenfalls zwingend benötigt werden Leute, die sich neben dem Beruf in Jugendhäusern oder auf Kinderfreizeiten engagieren. Und auch wenn man „nur“ einmal wöchentlich mit einem Hund aus dem örtlichen Tierheim gassi geht, ist das ein wertvoller Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft. Es gibt noch unzählige weitere Beispiele, die alle meine persönliche Meinung unterstützen: Ohne Ehrenamt würde bei uns vieles deutlich schlechter laufen.

Da wir an der Uni sind und ich mich damit auskenne, habe ich hier von meinen Erfahrungen mit der Fachschaftsarbeit berichtet. Die positiven Effekte für die Engagierten lassen sich aber genauso gut auf jede andere ehrenamtliche Tätigkeit übertragen. Ich bin fest davon überzeugt: Engagment zahlt sich aus, denn was man dabei lernt, kann einem keine Vorlesung und auch kein noch so gutes Lehrbuch beibringen. Da habe ich die zwei Semester, die ich am Ende über der Regelstudienzeit studiert haben werde, gerne in Kauf genommen. Und wenn man durch das Engagement die Welt (oder in meinem Fall die Studiensituation) zumindest ein kleines bisschen positiv verändern kann – umso besser :-)

Annika

Fachschaftler beantworten Schülern Fragen am Unitag.
Warum Elektrotechnik/Informationstechnik studieren? Fachschaftler beantworten Schülern diese Frage am Unitag.

Ein Interview mit der Autorin  auf Horads 88,6 über ihre ehrenamtliche Tätigkeit für die Fachschaft Elektrotechnik und warum der "Zeitverlust" ein Gewinn für sie war

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