Bevor wir im Herbst 2022 im Rahmen unseres Architektur- und Stadtplanungsstudiums an einer Exkursion nach Spanien teilnahmen, wusste niemand von uns sechzehn Studierenden, was Chozos sind, geschweige denn von der Geschichte und Bedeutung der Wanderweidewirtschaft für das spanische Inland und seine Bevölkerung.
Doch dies sollte sich bald ändern, denn auf unserer Exkursion in das beschauliche Cabeza del Buey in Extremadura, mitten in Spanien, lernten wir von Einheimischen, Schäfer*innen und Expert*innen, wie man Chozos mit den eigenen Händen baut und wie eng die Lebensweise der Wanderschäfer*innen mit der Geschichte und Tradition des Ortes verflochten ist.
Architektur auf Wanderschaft
„Chozo“ kommt aus dem Spanischen und bedeutet so viel wie „(kleine) Hütte“ oder „Hüttchen“. Seit Jahrtausenden, vermutlich bereits seit der Römerzeit, ziehen Wanderschäfer*innen mit großen Schaf- und Rinderherden mehrere hundert Kilometer quer durch Spanien von den Winter- zu den Sommerweiden und umgekehrt. Diese Bewegung, die auch als „Transhumanz“ bezeichnet wird, hat ein ausgedehntes System von Viehwegen geschaffen, das die Landschaft von Norden nach Süden verbindet. Überall dort sind Chozos zu finden.
Chozos sind Teil einer Architektur, die in einer Symbiose aus kulturellen und natürlichen Gegebenheiten entstanden ist. Sie bestehen aus Stein, Holz oder Schilfrohr, je nachdem, ob die Schäfer*innen die Hütten auf ihrer Wanderung von Ort zu Ort mitnahmen oder als dauerhafte und befestigte Behausung nutzen wollten.
Es gibt drei verschieden Arten von Hütten: tragbare Hütten aus leichtem Pflanzenmaterial, massive Steinhütten, die für gewöhnlich an Ort und Stelle blieben, und gemischte Hütten mit Wänden aus Stein und Dächern aus Schilf.
Von Kulturen und Traditionen für die Zukunft lernen
In dieser volkstümlichen Architektur steckt viel Wissen, das langsam verloren geht: Die Verwendung lokaler Ressourcen, der effiziente Einsatz von Materialien, die Integration in die Landschaft, die Rücksichtnahme auf die Natur und das einfache Recycling. Auch wenn die Tradition Jahrhunderte alt ist und seit dem 20. Jahrhundert langsam ausstirbt, steckt in diesem Know-How viel Wertvolles und Wissenswertes für uns Architektinnen und Architekten der nächsten Generation.
Im Hinblick auf die Klimakrise und ihre Folgen, mit denen wir Menschen schon jetzt und in Zukunft umgehen müssen, war es wahrscheinlich nie wichtiger als jetzt, ressourcenschonend, effizient und mit Rücksicht auf unsere Umwelt zu planen und zu bauen. Neben all den technischen Neuerungen und der Forschung an zukünftigen Wegen des Bauens, ist auch ein Blick auf die Vergangenheit und lange bewährte Tradition ein lohnenswerter Ansatz, um auf die Krisen unserer Zeit zu reagieren.
Das Projekt war für uns Studierende eine Erfahrung, die für uns selbst jetzt, mehr als ein Jahr später, bereichernd und prägend ist. Oft sprechen wir untereinander und mit anderen über die Erlebnisse, die wir mit den Einheimischen vor Ort gemacht haben. Ein Highlight, an das wir gern zurückdenken, ist ein traditioneller Umzug zu Ehren der Schutzheiligen vor Ort - ein hautnahes Kulturerlebnis, das wirklich unvergleichlich war: Mit 27 Traktoren, viel Musik, Essen und Getränken zogen wir vom Dorf zu einer nahegelegenen Stelle, um dort den Nachmittag zu verbringen, gemeinsam zu essen und zu feiern. Aber auch die Besichtigung einer Höhle mit Malereien aus der Steinzeit gemeinsam mit einem unserer Guides, war unvergesslich für uns.
Wie wollen wir leben?
Selten hat man die Chance, alte Geschichte so direkt zu erleben. Der Bau der Hütten und das Arbeiten mit den eigenen Händen und wenigen, simplen Werkzeugen hat sicherlich bei uns allen einen anhaltenden Denkprozess über unsere Lebensweise und unsere Art, Architektur zu schaffen, angestoßen. Vielleicht sind es doch viel öfter die einfachen Dinge, die uns weiterbringen? Vielleicht brauchen wir viel weniger Rohstoffe und Luxusgüter, als wir eigentlich denken, um ein gutes Leben zu führen? Wie können wir in Zukunft planen, bauen und leben, um unserem Planeten nicht zu schaden, sondern ihn zu erhalten und zu schützen?
Auf so vielen Ebenen war diese Reise bereichernd für uns. Im Vordergrund steht die Dankbarkeit, dass uns solche Erfahrungen ermöglicht werden - vor allem durch sie lernen wir, was in unserem späteren Beruf und auch für unsere persönliche Entwicklung wichtig ist, welche Fragen uns beschäftigen und welche Werte wir vertreten wollen.
Lilian
Schreibe einen Kommentar
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.