Seit März 2023 gibt es nun also das langersehnte 365-Euro-Ticket für junge Menschen. Für uns Studierende löst es das vorige Semesterticket ab und hat neben des Preises noch einen weiteren Vorteil: Es lässt sich damit an allen 365 Tagen im Jahr mit dem gesamten Nah- und Regionalverkehr durch Baden-Württemberg tuckern und ist damit quasi die kleine Schwester des bundesweiten 49-Euro-Tickets. Gekauft habe ich mir das Billett in erster Linie für die täglichen Fahrten zur Universität. Die Möglichkeit, ohne weitere Bahnkosten durch das Bundesland zu reisen ist aber auf alle Fälle ein Gewinn - denke ich mir. Den Sommer über habe ich das getestet. Ich erkunde meine Heimat und teile diese Erfahrung hier. Nachmachen lohnt!
Die Rahmenbedingungen sind klar. Das Ticket gilt rund um die Uhr, wird als Jahreskarte abgeschlossen und Fahrräder können werktags ab 9:00 Uhr (an Wochenenden und Feiertagen ganztägig) kostenfrei mitgenommen werden. Gefahren werden kann mit allen Bussen, S- und Straßenbahnen und Regionalbahnen wie dem IRE, RE, RB und MEX. Ausnahme: IC-Strecken, die dürfen nicht gefahren werden. Ausnahme der Ausnahme: Einzelne Strecken wie von Stuttgart nach Singen (Konstanz) geht durch Sonderregelung trotzdem. Weitere Infos findet ihr auf der Seite des Verkehrsverbundes Stuttgart .
Wenn man Reiseziele in Baden-Württemberg sucht, wird man geradezu mit Vorschlägen überschwemmt. Hier ist für alle etwas geboten. Für die Aktiven gibt es Orte zum Wandern, Fahrrad fahren oder Schwimmen und für die Kulturliebhaber zahlreiche Museen oder historische Städte. Schnell merke ich jedoch, dass ich mir das einfacher vorgestellt hatte, als es ist. Zwar gibt es viele Zielorte an die man reisen könnte, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltet sich das jedoch oft schwierig. Wenn sie überhaupt erreichbar sind, dann mit zahlreichen Umstiegen und damit einer unverhältnismäßig langen Reisezeit. Ich hatte also zwei Möglichkeiten. Erstens, manche Reiseziele nicht und damit nur Orte mit wenig Reisezeit besuchen (also die, die in der Nähe liegen oder mit einer direkter Verbindung erreichbar sind). Oder zweitens, lange Reisezeiten in Kauf nehmen (was entweder ein sehr langer Tag oder die Suche nach einer preisgünstigen Übernachtung vor Ort bedeutet). Ich beschloss beides auszuprobieren.
Für die Aktiven
Nach Wochen im Hörsaal sitzen, brauche ich etwas Bewegung und mache mich an einem Sonntagmorgen auf den Weg zu einer (Burg-)Ruinentour. Von denen gibt es am Rande der Schwäbischen Alb nämlich eine Menge. Mit der S1 geht es nach Kirchheim/Teck und von dort weiter mit der Regionalbahn nach Owen. Vom dortigen Bahnhof ist der Weg zur Burg Teck schon ausgeschildert und nach circa drei Kilometern und 400 Höhenmetern wird man am Ziel mit einer wundervollen Aussicht über das Albvorland und die Chance auf eine Portion Pommes belohnt. Weiter geht es für mich zur Ruine Rauber (3 km) und zum Reußenstein (12 km). Die Wege führen größtenteils durch den Wald, Schuhe mit gutem Profil und etwas Ausdauer sind also erforderlich. Mit dem Bus geht es schließlich von Neidlingen aus zurück Richtung Kirchheim.
Total entspannt
Ein paar Wochen später sitze ich im MEX18 nach Reutlingen, dort steige ich in den Bus nach Honau um. Hier ist alles entspannt, die Fahrt durch Felder und Wiesen vorbei an kleinen Dörfern hat nichts mit der hektischen Betriebsamkeit der S-Bahnen rund um Stuttgart zu tun. Das ist wie Urlaub.
In Honau beginnt der Wanderweg „hochgehträumt“ und führt vorbei an der Nebelhöhle und am Schloss Lichtenstein. Beides schaue ich mir natürlich von Innen an. Der Rundwanderweg endet am Startpunkt und von dort geht es den gleichen Weg zurück nach Stuttgart.
Wer insgesamt gerne wandern gehen möchte und dabei das Biosphärengebiet Schwäbische Alb erkunden will, der sollte sich die Seite hochgehberge anschauen.
Für die Städteliebenden
Sehenswerte und bekannte Städte gibt es viele in Baden-Württemberg. Tübingen, Heidelberg und Ludwigsburg, um nur drei zu nennen. Mich zieht es jedoch in den Schwarzwald. Mit dem RE1 geht es vom Hauptbahnhof Stuttgart nach Karlsruhe. Dort lege ich einen Sprint zum Bahnhofsvorplatz hin, um meinen Anschluss nicht zu verpassen. Das war allerdings unnötig, dieser hatte noch mehr Verspätung als wir. Mit der Straßenbahn tuckere ich schließlich los und komme mit nur noch vier Minuten Verspätung in Baden-Baden an. Die Stadt ist seit 2021 Teil der UNESCO-Welterbestätten „Bedeutende Kurstädte Europas“ und gilt neben Kur- und Bäderstadt auch als Medien-, Kunst- und internationale Festspielstadt. Hier ist also einiges geboten. Mit dem ausgedruckten Stadtplan laufe ich die „Flanierwege des Kurviertels“ (Casino, Trinkhalle, Stourdza-Kapelle) und das Bäderviertel (Rathaus, Friedrichsbad, Stiftskirche) ab. Die pastellgestrichenen Häuser der Innenstadt haben geschwungene Balkone mit Goldverzierungen und erinnern an eine Mischung aus italienischer Sehnsucht und deutscher Baukunst. Den Nachmittag verbringe ich lesend in einem der vielen Parks.
Ich lerne viel dazu
„Mehr Erlebnis fürs gleiche Geld! - Schauen Sie aus dem Fenster und genießen Sie die Fahrt“, versuchte der Schaffner auf einer meiner Touren seine Passagiere zu ermuntern, als die Fahrt auf Grund einer Signalstörung abrupt endete. Der Sommer vergeht wie im Flug und bei all meinen Reisen quer durchs Land lerne ich auch ziemlich viel dazu. In erster Linie natürlich, dass man es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nie eilig haben und dabei immer eine gewisse Flexibilität und Geduld an den Tag legen sollte.
Reisetipps
- Vor allem bei längeren Unternehmungen kann ein Sicherheitsmüsliriegel und etwas zum Trinken im Rucksack von Vorteil sein (Provinzbahnhöfe bieten in dieser Angelegenheit nicht sonderlich viel).
- Stoßzeiten meiden (besonders werktags trifft man sehr viele Pendler*innen zur Feierabendzeit).
- Ein Jäckchen zum Überziehen einpacken (Wenn die Klimaanlage funktioniert, kann es im Zug bei langem sitzen richtig kalt werden).
- Powerbank für lange Reisetage (Steckdosen sucht man oft vergeblich oder sind unbrauchbar).
- Gute Leselektüre für lange Umsteigezeiten, Verspätungen oder Zugausfälle
Für die Kulturliebenden
An dem großen Fenster fliegt die Landschaft vorbei und vermischt sich zu einem Schleier aus Grüntönen. Es ist die erste Woche im Juli und ich bin mit dem RE5 auf dem Weg nach Friedrichshafen am Bodensee. Ganz ohne Umsteigen auf direktem Weg – das ist Luxus. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen am Nachmittag noch eine Runde im Bodensee schwimmen zu gehen. Alle die am schwäbischen Meer etwas mehr Zeit verbringen wollen, können von hier mit der Fähre (nicht im BW-Ticket inbegriffen) oder dem Bus nach Konstanz oder ebenfalls mit dem Bus zum märchenhaften Meersburg fahren.
Ab ins Mittelalter
Mein Tag beginnt früh, denn heute habe ich einen langen Weg vor mir. Ich mache eine Zeitreise in die Vergangenheit, genauer gesagt ins Mittelalter. Das 365-Euro-Ticket bietet so einiges. Ziemlich genau vier Stunden geht die Fahrt zum Campus Galli, der karolingischen Klosterstadt. Beziehungsweise der Anfang davon, denn es wird gerade erst, ausschließlich mit zeitgenössischen Arbeitstechniken, gebaut. „Die Uhr läuft hier langsamer“ steht in dem Lageplan den man am Eingang erhält. Man merkt es selbst, wenn man über das Gelände schlendert und die Handwerker*innen bei ihrer Arbeit beobachtet. Die Führung über das Gelände, für zusätzliche vier Euro kann ich nur wärmstens empfehlen. In breitem schwäbischen Dialekt und mit einer ansteckenden Begeisterung für das Projekt, bekommt man in 90 Minuten die wichtigsten Informationen des Campus zusehen und erklärt. Zum Abschluss dürfen natürlich der Met im Tonbecher und der Linseneintopf nicht fehlen. Ein Ausflugsziel nicht nur für Mittelalterfans!
Die Nacht verbringe ich in Sigmaringen. Am nächsten Morgen reicht es mir mit der Vergangenheit, ich schaue mir das Sigmaringer Schloss nicht an (ich komme hier bestimmt mal wieder her) und steige stattessen auf dem Rückweg für einen Kaffee in Ulm aus.
Zwischen Eisenbahnromantik und Abenteuerlust
Das war sie also, meine Reise durch Baden-Württemberg und die Suche nach den schönsten Orten des Bundeslandes. Ich habe einige davon gefunden wie die kleine Bank mit der Sicht ins Tal irgendwo am Rande der Schwäbischen Alb, die pastellfarbene Stadt im Schwarzwald und das Haus der Weidenkorbflechterinnen auf den Spuren des Mittelalters. Gesehen habe ich diesen Sommer Vieles. Die Wahrheit ist aber auch, dass wir das 365-Euro-Ticket vor allem für unsere täglichen Strecken wie zur Universität, zum Einkaufen oder zum Besuch unserer Eltern nutzen. Im alltäglichen Trubel musste ich mir aktiv Zeit für die Planung und die anschließenden Abenteuer nehmen. Wenn man quasi überall hinfahren kann und das nichts kostet, lähmt das die Entscheidung überhaupt los zufahren. Man kann ja auch noch morgen los. Oder nächste Woche.
In Zeiten, in denen der Heimaturlaub wieder diskutiert wird, hat Baden-Württemberg jedenfalls einiges zu bieten und ich habe noch lange nicht alles davon gesehen.
Welche Reiseziele habt ihr schon mit dem Ticket besucht und welche Erfahrung habt ihr gemacht? Schreibe es gerne in die Kommentare.
Sophie
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